Am 27. Oktober 2019 wurde im Amtsblatt das Legislativdekret Nr. 124 vom 26. Oktober 2019 veröffentlicht, das die wichtigen Veränderungen enthält, die durch Artikel 39 der Regelung von Straftaten im Zusammenhang mit der Einkommens- und Mehrwertsteuer gemäß Gv. D. 74/2000 (in Kraft seit dem Datum der Veröffentlichung des Umwandlungsgesetzes) vorgenommen wurden.
1. Verschärfung der Strafmaße.
Eine erste Reihe von Maßnahmen betrifft die Verschärfung der Strafmaße für einige Tatbestände:
Artikel 2 („Betrügerische Angaben durch Verwendung von Rechnungen oder anderen Unterlagen für nicht erfolgte Transaktionen“): Das vorherige Strafmaß „von einem Jahr und sechs Monaten bis zu sechs Jahren“ wurde durch das schärfere Strafmaß „von vier bis acht Jahren“ ersetzt; das vorherige Strafmaß wurde jedoch für den Fall beibehalten, in dem der Betrag der in der Erklärung aufgeführten fiktiven Passivposten unter 100.000 Euro liegt (diese Grenze – wie wir im Folgenden sehen werden – hat der Gesetzgeber einerseits festgelegt, um einen Richtwert für das anwendbare Strafmaß zu bestimmen, und andererseits, um eine Grenze für die Anwendung der sogenannten „erweiterten“ Beschlagnahme gemäß Artikel 240-bis it. StGB.) zu definieren;
Artikel 3 („Betrügerische Angaben durch andere Mittel“): Das vorherige Strafmaß „von einem Jahr und sechs Monaten bis sechs Jahren“ wurde auf „von 3 bis zu 8 Jahren“ angehoben;
Artikel 4 („Unrichtige oder unvollständige Angaben“): Das Strafmaß „von einem Jahr bis drei Jahren“ wurde auf „von zwei bis fünf Jahren“ angehoben;
Artikel 5 („Unterlassene Angaben“, auch des Steuersubstituts gemäß Absatz 1-bis): Es wird nun eine Freiheitsstrafe „von zwei bis sechs Jahren“ verhängt (vorher hingegen galt das Strafmaß von einem Jahr und sechs Monaten bis zu vier Jahren);
Artikel 8 („Ausstellung von Rechnungen oder anderen Unterlagen für Scheingeschäfte“): Ganz ähnlich wie beim Tatbestand nach Artikel 2 wurde das Strafmaß „Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bis zu sechs Jahren“ nur für den Fall beibehalten, in dem „der in Rechnungen oder Unterlagen falsch angeführte Betrag für den Besteuerungszeitraum“ unter 100.000 Euro liegt; ist der Betrag größer, kommt hingegen das neue Strafmaß zur Anwendung, das eine Freiheitsstrafe von mindestens 4 bis maximal 8 Jahren vorsieht;
Artikel 10 („Verbergen oder Vernichtung von Buchführungsunterlagen“): Das vorherige Strafmaß einer Freiheitsstrafe „von einem Jahr und sechs Monaten bis zu sechs Jahren“ wurde auf „von 3 bis zu 7 Jahren“ angehoben;
Die Strafen für nicht geleistete Zahlungen gemäß den Artikeln 10-bis und 10-ter wurden hingegen nicht verschärft.
Die Verschärfung der Strafmaße hat äußerst wichtige Folgen sowohl in der Ermittlungsphase als auch bei der Urteilsvollstreckung. In Hinsicht auf die Ermittlungen können in Folge der genannten Veränderungen auch Abhörmaßnahmen für die Tatbestände „Unrichtige oder unvollständige Angaben“ sowie „Unterlassene Angaben“ angeordnet werden. Was die Anwendung der Strafen betrifft, so erschwert die Verschärfung der Strafmaße faktisch den Zugriff auf andere Maßnahmen als die Freiheitsstrafe, beispielsweise Bewährung mit der Auflage eines Hausarrests.
2. Senkung der Strafbarkeitsgrenzen.
Eine zweite Reihe von Maßnahmen betrifft die Senkung der Strafbarkeitsgrenzen:
Artikel 4 („Unrichtige oder unvollständige Angaben“): Die Grenze für die hinterzogene Steuer wurde auf einhunderttausend Euro (von einhundertundfünzigtausend Euro) gesenkt, während die Grenze für der Besteuerung entzogene Aktivposten auf zwei Millionen (von drei) gesenkt wurde; gestrichen wurde dagegen Absatz 1-ter, der eine Strafbarkeit für den Fall ausschloss, in dem die Täuschung von Bewertungen abhing, die, für sich genommen, um weniger als 10 % von den richtigen abwichen;
Artikel 10-bis („Nichtzahlung geschuldeter oder bescheinigter Quellensteuern“): Die Grenze für nicht gezahlte Steuern wurde auf einhunderttausend Euro (von einhundertundfünzigtausend Euro) gesenkt;
Artikel 10-bis („Nichtzahlung geschuldeter oder bescheinigter Mehrwertsteuer“): Die Grenze für nicht gezahlte Steuern wurde auf einhundertundfünzigtausend Euro (von zweihunderundfünzigtausend Euro) gesenkt.
3. Die „erweiterte“ Beschlagnahme.
Die Steuerverordnung hat zudem Artikel 12-ter eingeführt, der die Anwendbarkeit der sogenannten „erweiterten“ Beschlagnahme gemäß Artikel 240-bis für alle kriminellen Tatbestände vorsieht, die im Gv. D. 74/2000 genannt sind (mit Ausnahme der Straftatbestände der unterlassenen Zahlung),sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a) die Höhe der aufgeführten fiktiven Passivposten ist größer als 100.000 Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 2 vorgesehen ist;
b) die hinterzogene Steuer ist höher als einhunderttausend Euro in den laut Artikeln 3 und 5, Absatz 1, vorgesehenen Straftatfällen;
c) der Betrag der nicht gezahlten Quellensteuern ist größer als einhunderttausend Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 5, Absatz 1, vorgesehen ist;
d) der in Rechnungen oder Unterlagen aufgeführte nicht der Wahrheit entsprechende Betrag ist größer als einhunderttausend Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 8 vorgesehen ist;
e) eine unzulässige Ausgleichszahlung hat als Gegenstand nicht geschuldete oder nicht fällige Forderungen von über einhunderttausend Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 10-quater vorgesehen ist;
f) der Betrag der Steuern, Geldstrafen und Zinsen ist größer als einhunderttausend Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 11, Absatz 1, vorgesehen ist;
g) der Betrag der Aktivposten, die geringer als die effektiven Posten oder fiktiven Passivposten sind, ist größer als einhunderttausend Euro im Straftatfall, der gemäß Artikel 11, Absatz 2, vorgesehen ist;
h) es erfolgt die Verurteilung oder Vollstreckung einer Sanktion für die Straftaten gemäß Artikel 4 (es wird daran erinnert, dass die Grenze für die hinterzogene Steuer einhunderttausend Euro beträgt A.d.V.) und Artikel 10 (der das Verbergen oder die Vernichtung von Buchführungsunterlagen bestraft A.d.V.).
Diese Form der Beschlagnahme, die ursprünglich als Form der Bekämpfung der organisierten Kriminalität eingeführt wurde, ist besonders tückisch. So ermöglicht sie faktisch, selbst ausgehend von einer Verurteilung oder einem Vergleichsurteil (im Unterschied zur vorbeugenden Beschlagnahme),nicht nur, den Gewinn oder Preis der Straftat zu „treffen“ (wie gemäß Artikel 12-bis vorgesehen),sondern entzieht auch der Verfügbarkeit des Steuerbetrügers alle Güter, Bargeldbeträge oder anderen Werte deren Herkunft der Verurteilte nicht rechtfertigen kann und als deren Eigentümer er sich, auch persönlich oder über eine natürliche oder juristische Person, erweist oder über die er in jeglicher Form in einem gegenüber seinem Einkommen unverhältnismäßigen Maß verfügt“.
Der Gesetzgeber hat somit diese Form der Beschlagnahme auf die Fälle von Verurteilungen oder Vergleichsurteilen in den meisten Fällen von Steuerdelikten erweitert, und als weitere Voraussetzung die Überschreitung der Grenze von einhunderttausend Euro vorgesehen, die nach einem recht fragwürdigen Kriterium ermittelt wurde. Tatsächlich gilt auf der einen Seite für die Straftaten gemäß den Artikeln 2 und 8 die Grenze von einhunderttausend Euro mit Bezug auf die in der Erklärung aufgeführten fiktiven Passivposten und auf den in der Rechnung angegebenen nicht der Wahrheit entsprechenden Betrag (Grenzen, die für die Festlegung des anwendbaren Strafmaßes relevant sind),und auf der anderen Seite beziehen sich für die anderen Tatbestände die einhunderttausend Euro grundsätzlich auf die geschuldeten Steuern oder sogar, im Falle der betrügerischen Hinterziehung gemäß Artikel 11, auf die dem Staat geschuldeten Steuern, Zinsen und Geldstrafen. Es scheint daher komplett an Schlüssigkeit in Hinsicht auf die Bestimmung einer solchen Grenze zu fehlen – wenn man von der buchstäblichen Schlüssigkeit absieht.
4. Gv. D. Nr. 231/2001. Die betrügerische Erklärung gemäß Artikel 2 neue angenommene Straftat.
Schließlich verweisen wir noch darauf, dass die erläuterte Reform in Übereinstimmung mit der PIF-Richtlinie (EU) 2017/1371, die von den Mitgliedsstaaten verlangte, eine rechtliche Verantwortung der Unternehmen im Fall der Begehung von „schwerwiegenden Straftaten gegen das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem“ vorzusehen, in das Gv. D. 231/2001 den Artikel 25-quinquiesdecies eingeführt hat.
Durch diese Bestimmung wird der Artikel 2 des Gv. D. 74/2000 („Betrügerische Angaben durch Verwendung von Rechnungen oder anderen Unterlagen für nicht erfolgte Transaktionen“) aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Verantwortung der Unternehmen zu einem Straftatbestand gemäß Gv. D. 231/2001. Im Falle der Begehung der verwaltungsrechtlichen Straftat wird das entsprechende Unternehmen mit einer Geldstrafe von bis zu fünfhundert Anteilen belegt.
Wir erinnern daran, dass die PIF-Richtlinie die Einführung einer Form von Haftung der Unternehmen nur für schwerwiegende Verstöße im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer vorschrieb, die als grenzüberschreitende Betrugsformen gegen die finanziellen Interessen der EU zu verstehen sind, die sich mindestens auf 10 Millionen Euro belaufen.
Der italienische Gesetzgeber hat diese Richtlinie umgesetzt und sich dabei auf die Einführung eines einzigen Tatbestands beschränkt, der sich aus der Haftung des Unternehmens gemäß Artikel 2 ergibt (ein Tatbestand, der sicher in Bezug auf grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug von größerer Relevanz, wenn auch nicht unbedingt exklusiv, ist).
Gleichzeitig ist im Falle der Begehung der angenommenen Straftat im Sinne von Artikel 2 vorgesehen, das Unternehmen auch dann mit einer Sanktion zu belegen, wenn der Betrug nicht grenzüberschreitend und von geringem Ausmaß ist.