Einstellungsbeschluss und Haftung des Unternehmens

Einstellungsbeschluss und Haftung des Unternehmens

  • Fabio Cagnola

Wir machen die Leser auf einen sehr aktuellen und interessanten Einstellungsbeschluss gemäß Art. 58 des Gesetzesdekrets Nr. 231/2001 aufmerksam, der von der Staatsanwaltschaft Mailand am 11. November 2022 hinterlegt wurde.


Die Einstellung erfolgte am Ende eines Strafverfahrens, das 2021 gegen einen multinationalen Konzern eingeleitet wurde, dem die Verwendung von Rechnungen für rechtlich nicht existierende Transaktionen vorgeworfen wurde, wobei Werkverträge anstelle von Leiharbeit gemäß Art. 25-quinquiesdecies des Gesetzesdekrets Nr. 231/2001 vorgetäuscht wurden. 
Aus der Lektüre des oben genannten Einstellungsbeschlusses, der zweifellos eine Reihe von bedenkenswerten Ansatzpunkten enthält, geht hervor, dass in Systemen, die durch eine Doppelbestrafung gekennzeichnet sind, eines der wichtigsten Themen der Grundsatz „ne bis in idem“ erscheint.
Denn da das Unternehmen bereits zuvor die entsprechenden steuerlichen Sanktionen gezahlt hatte, die ihm aufgrund des Gesetzesdekrets Nr. 471/1997 auferlegt worden waren, stellte sich die Frage, ob es zweckmäßig sei, das Verfahren aufgrund des Gesetzesdekrets Nr. 231/2001 fortzusetzen, um eine unnötige Verdoppelung der Sanktionen zu vermeiden.


Das fragliche Thema war bereits in den vergangenen Jahren Gegenstand von Überlegungen nationaler und supranationaler Behörden, die einige sehr wertvolle Verkündigungen zu diesem Thema veröffentlicht haben.

In demselben Einstellungsbeschluss wird nämlich nicht darauf verzichtet, bekannte Urteile des EGMR zu erwähnen, wie die Urteile in den Rechtssachen Grande Stevens gegen Italien vom 4. März 2014, aber auch A und B gegen Norwegen vom 15. November 2016 und - im Hinblick auf die Kriterien, die den im Wesentlichen strafrechtlichen Charakter von Verwaltungssanktionen veranschaulichen - Engel und andere gegen die Niederlande vom 8. Juni 1976.


In der Tat dienten die wichtigen Grundsätze, die sich aus den genannten Urteilen ergeben, als wichtige Grundlage für einen Teil der Argumente, die die Mailänder Staatsanwaltschaft bei der Ausarbeitung des Einstellungsbeschlusses vorgebracht hat. Letztere beruhen nämlich zunächst auf der Erwägung, dass das Schema des „idem factum“ in seiner historisch-sachlichen Bedeutung im vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar ist. Angesichts des abschreckenden und belastenden Charakters der bereits verhängten steuerlichen Sanktionen hätte der Strafanspruch des Staates gegen den betreffenden multinationalen Konzern als durchgesetzt angesehen werden können, ohne dass es notwendig gewesen wäre, gegen das Unternehmen auch die im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Haftung für Straftaten vorgesehenen Sanktionen zu verhängen. Die zu prüfenden steuerlichen Sanktionen wurden nämlich als „im Wesentlichen strafrechtlich“ Art eingestuft, und zwar in einem eindeutigen Sinne, wonach die Verhängung möglicher Sanktionen gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Verbot des „bis in idem“ bedeutet hätte. Obwohl die oben genannten Aspekte zweifellos eine wichtige Rolle spielten, ist die Entscheidung, das Verfahren hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen Haftung des Unternehmens nicht fortzusetzen, als Ergebnis von Überlegungen mit einer noch größeren Tragweite anzusehen.


Die Mailänder Staatsanwaltschaft beweist mit dem fraglichen Einstellungsbeschluss, dass sie dem Verhalten des multinationalen Konzerns während der beiden Verfahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, insbesondere den Anstrengungen desselben bei der Beseitigung der schädlichen Folgen der Straftat. Genau in diesem Sinne werden sowohl das vom Unternehmen ordnungsgemäß angenommene Organisationsmodell zur Bekämpfung des Makro-Risikobereichs im Zusammenhang mit den Beziehungen zu den Lieferanten von Waren und Dienstleistungen als auch das Projekt zur Einstellung von Arbeitnehmern, die bei den Lieferanten arbeiten, erwähnt, mit dem Ziel, Abhilfemaßnahmen seitens des Unternehmens zu betonen. Elemente, die ein klares Signal für die Absichten des Unternehmens seien, vollkommen im Einklang mit der Legalität zu stehen.
In der Tat scheint genau dies die Neuheit zu sein. Aus der Lektüre des Beschlusses geht nämlich hervor, dass der Staat angesichts bestimmter Verhaltensweisen des Unternehmens, die als Verhaltensweisen im Rahmen eines Programms zur „Wiederherstellung der Legalität“ ausgelegt werden können, auf seinen Strafanspruch verzichten kann. Die beschriebene Logik scheint darin zu bestehen, dass dem Unternehmen für den beanstandeten Sachverhalt Verantwortung zugewiesen wird, um es in die Lage zu versetzen, vorbildliche Verwaltungs- und Reorganisationsmodelle zu übernehmen und seine „Wiedereingliederung“ zu ermöglichen, indem die strafende Reaktion als eine Art letztes Mittel angesehen wird. Man bezieht sich hierbei insbesondere auf eine 2016 in Frankreich eingeführte rechtliche Regelung nach nordamerikanischem Vorbild, die bei der Urteilsfindung der bekannten „Airbus“-Affäre verwendet wurde. Die betreffende Regelung sieht vorbehaltlich einer entsprechenden Vereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft und dem betroffenen Unternehmen und der Erfüllung der darin vorgesehenen spezifischen Verpflichtungen vor, dass der Staat seinen Strafanspruch nicht geltend machen kann.


Es handelt sich hierbei um Mechanismen, die auch in den Vereinigten Staaten bereits vorgesehen sind und in der Tat interessante Denkanstöße unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, die durch schnellere Instrumente die Möglichkeit hätten, sich vom verfahrensrechtlichen Schicksal der möglicherweise für die Straftat verantwortlichen natürlichen Personen zu distanzieren und die Gesamtheit der negativen Aspekte zu vermeiden, die eine Beteiligung an einem Strafverfahren mit sich bringt.


Es kann also nicht geleugnet werden, dass eine Argumentation mit diesen Bezügen unbestreitbare Vorteile mit sich bringt, vor allem, wenn man bedenkt, in welchem innovativen Umfang ein so wichtiges Thema angegangen wird. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass es ausreicht, wenn das Unternehmen eine Reorganisation der Unternehmensprotokolle und die Entwicklung von Projekten für eine vorbildliche künftige Verwaltung im Zeichen der Legalität vorsieht, wäre dies ein zweifellos anregender Ansatz für den verständlichen Wunsch, unangemessene Verfahrensbelastungen und Sanktionen zu vermeiden.
 
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